Rentenreform, Junge Gruppe und die Frage politischer Stabilität

Der jüngste Konflikt zwischen der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der eigenen Parteiführung wirkt auf den ersten Blick wie ein innerparteiliches Detail. Tatsächlich markiert er einen seltenen Moment: Ein politisches System versucht, seine eigene Zukunftsfähigkeit durch institutionalisierte Lernfähigkeit zu rekonfigurieren – und scheitert zugleich an seinem tradierten Stabilitätsversprechen.

Der Anlass ist bekannt: Die Bundesregierung hat unter Bundeskanzler Friedrich Merz ein Rentenpaket vorbereitet, das das Rentenniveau bis 2031 bei 48 % hält, ohne darüber hinaus verbindliche Regelungen vorzusehen. Die Jungen Abgeordneten, 18 an der Zahl, erklärten öffentlich, diesem Paket nicht zuzustimmen. Nicht weil sie es grundsätzlich ablehnen, sondern weil sie seine langfristige Finanzlogik für ungesichert halten. Ihr Argument: Stabilität bis 2031 sei eine politische Versicherung, jedoch keine systemische.

Die Reaktion der Parteiführung war nicht Abwehr, sondern Delegation der Zukunft an eine neue institutionelle Struktur: Eine große Rentenkommission, die bis Sommer 2026 Vorschläge erarbeiten soll. Das bedeutet in der Sache: Die Gegenwart beschließt ein Gesetz, dessen langfristige Folgen eine spätere Instanz bewerten und gegebenenfalls korrigieren soll. Die Journalistin Karina Mössbauer formulierte in der Sendung von Markus Lanz den klassischen Gegenpunkt: Wo ist Stabilität, wenn Gesetze beschlossen werden, die wenige Jahre später revidiert werden müssen?

Systemtheoretisch ist genau diese Irritation der entscheidende Punkt.

Politische Stabilität wurde in Deutschland jahrzehntelang als Festlegung verstanden.Das heißt: Eine Entscheidung gilt, weil sie gilt, und sie bleibt gültig, weil sie einmal beschlossen wurde; Revision ist Ausnahme, nicht Normalform. Das erzeugt eine Semantik des Versprechens: „Verlässlichkeit“, „Planbarkeit“, „Sicherheit“. Die Politik kommuniziert Zukunft über die Sprache der Festlegung.

Moderne Systeme funktionieren jedoch anders: Durch permanente Revisionsfähigkeit. Biologische, technologische, ökonomische Systeme sind stabil, weil sie Fehler einkalkulieren, nicht trotz Fehlern. Sie arbeiten mit Feedback, nicht mit Garantien, sie erzeugen Zukunftsfähigkeit durch Korrekturschleifen, nicht durch Haltelinien; Demokratien geraten deshalb unter Druck, wenn sie Stabilität weiterhin als Unveränderbarkeit inszenieren, während die operative Wirklichkeit längst aus permanenter Anpassung besteht.

Die Rentenkommission ist deshalb kein technisches Detail, sondern ein politisches Signal: Ein System versucht, Stabilität nicht länger durch Unbeweglichkeit zu definieren, sondern durch eingebauten Wandel. Die Junge Gruppe fordert nicht Chaos, sondern institutionalisierte Lernfähigkeit. Sie verlangen nicht Unsicherheit, sondern eine andere Form von Sicherheit, eine, die Revision nicht als Bedrohung liest, sondern als Bestandteil realistischer Governance.

Dass dies irritiert, ist klar: Die klassische politische Semantik will Sicherheit durch Entschiedenheit. Die Systemlogik verlangt Sicherheit durch Anpassung.

Zwischen diesen beiden Semantiken liegt der Konflikt, den Mössbauer in einem Satz sichtbar machte: „Wo ist die Stabilität, wenn wir Gesetze bald wieder ändern müssen?“ Die Antwort ist systemtheoretisch einfach und politisch schwer vermittelbar: Stabilität entsteht heute nicht dadurch, dass sich nichts ändert, sondern dadurch, dass sich etwas ändern kann.

Die Rentenkommission ist keine Nachverhandlung des aktuellen Gesetzes, sondern die institutionalisierte Form von Systemlogik. Sie macht zukünftige Anpassungen wahrscheinlich, ohne das jetzige Gesetz zu destabilisieren. Das wirkt irritierend, ist aber funktional: Ein politisches System, das sich nicht korrigieren kann, verliert seine Entscheidungsfähigkeit schneller als eines, das Änderungen einplant.