Unsicherheit ist zum Normalzustand unserer Gesellschaft geworden, doch viele begegnen ihr, indem sie Lautstärke mit Überzeugung verwechseln. An den politischen Rändern herrscht Dauerempörung: Linke wie rechte Schreihälse präsentieren sich als Opfer und Richter zugleich, unablässig beleidigt, überzeugt von der moralischen Überlegenheit des eigenen Zorns und davon, dass die eigene Erregung schon der Beweis der Wahrheit ist.
Die Gesellschaft wird so zu einem akustischen Raum, in dem Empörung das Grundrauschen bildet. Und wo Worte nicht mehr genügen, wächst zunehmend die Bereitschaft zur symbolischen oder physischen Gewalt.
In der Mitte stehen derweil Millionen Menschen, die diese Inszenierungen satt haben. Sie sind nicht stumm, aber ungegründet, ohne gemeinsame Plattform, ohne Form. Sie artikulieren sich täglich: Im Beruf, in der Familie, im Ehrenamt, in Gesprächen, die niemand aufzeichnet, ihre Vernunft bleibt ohne Verstärker.
Mitte lässt sich schwer organisieren, weil sie kein geschlossenes Lager ist, sondern eine nüchterne Art, auf die Welt zu schauen – beweglich, abwägend, manchmal auch schlicht müde von Ideologie.
Das eigentliche Problem unserer Demokratie liegt nicht im Streit der Extreme, sondern in der verfehlten Infrastruktur der Verständigung. Die Kanäle wären längst vorhanden, doch sie fördern Aufregung statt Austausch; Algorithmen belohnen Empörung, soziale Medien verengen Aufmerksamkeit auf Sekunden. Die technische Infrastruktur existiert, aber sie arbeitet gegen ihren Zweck.
Eine Politik der Mitte müsste hier ansetzen: beim Umbau der digitalen Öffentlichkeit selbst. Denkbar wäre eine staatlich verankerte, aber transparent betriebene Plattform, in der Bürger und Staat kontinuierlich in Kontakt treten: Gesetzgebungsverfahren verfolgbar, Beteiligung, Verwaltungsvorgänge nachvollziehbar, sichtbar, verantwortlich. Eine deutsche Übersetzung erfolgreicher digitaler Projekte wie vTaiwan. Ein System, das Vertrauen nicht fordert, sondern durch Nachvollziehbarkeit erzeugt.
Sicherheit entsteht nicht aus Gewissheit, sondern aus Funktion. Wenn Institutionen verlässlich arbeiten und Kommunikation wechselseitig sichtbar ist, entsteht Ruhe, nicht, weil alles gut ist, sondern weil Prozesse begreifbar sind. Darin liegt die eigentliche Aufgabe unserer Zeit: Die Demokratie technologisch zu erneuern.