Systemtheoretisch betrachtet ist der Mensch kein Element sozialer Systeme, er ist vielmehr deren Umwelt, immerhin bei gleichzeitiger Unverzichtbarkeit. Wie das zusammenpasst?
Im strukturellen Kern reproduzieren soziale Systeme Kommunikation aus Kommunikation, sie operieren autopoietisch. Die Rolle des Menschen ist dabei nicht mehr, jedoch immerhin nicht weniger als:
– Input: Reiz, Irritation, Impuls
– Output: Manifestation von Kommunikation
– Brücke: Bereitstellung von Bewusstsein und Körperlichkeit
Aber der Mensch ist kein Element des Systems, sondern Medium, auf das das System angewiesen ist. Genauso wie Nervenzellen das Medium des psychischen Systems sind, ohne selbst Bewusstsein zu enthalten.
Der Mensch ist also für soziale Systeme weder Subjekt noch Element, sondern ein unverzichtbares Trägermedium der Sinnverarbeitung, das Kommunikation ermöglicht, ohne selbst kommunikativ zu sein. Soziale Systeme nutzen psychische Systeme, ohne sie integrieren zu können.
Kommunikation braucht Menschen – aber nicht als Menschen
Kommunikation besteht aus: Information (was gesagt wird), Mitteilung (wie und durch wen es gesagt wird) und Verstehen (die Verarbeitung durch das System selbst). Der Mensch liefert nur Energie, Kognition, Motivation, Aufmerksamkeit, Stimme, Blick, Handbewegungen, also psychische oder körperliche Prozesse. Das System nimmt davon nur das, was es in Kommunikation verwandeln kann.
Der Mensch ist das Trägermedium, das Kommunikation ermöglicht, aber nicht der Ort, an dem soziale Kommunikation stattfindet. Psychische Systeme produzieren Sinn, haben Bewusstsein, haben Identität, sind reflexiv. Soziale Systeme haben keine Innenwelt, haben keine Identität, haben keine Subjekte, sind ausschließlich Prozesse. Darum brauchen soziale Systeme den Menschen, jedoch ausschließlich als Mitteilungsträger, aus dessen Äußerung sie Anschluss machen.
Der Mensch ist also nicht Teil des Systems, aber Bedingung seines Fortgangs. Ein System, das Kommunikation verarbeitet, muss sich darauf verlassen können, dass irgendwo ein psychisches System bereitsteht, das die Rolle übernimmt, etwa als Wähler, Lehrer, Käufer, Patient oder Polizist. Das System interessiert sich nicht für den Menschen dahinter, nicht für seine Kindheit oder Moral, nicht für seinen Schlaf oder seine Träume oder Ängste und erst recht nicht für seine familiären Dramen. Es interessiert sich nur für das, was sich funktional anschließen lässt.
Damit erscheint der Mensch für das System tatsächlich als Trägerfunktion, nicht Wesenheit, als Medium der systemischen Operation, nicht deren Teil. Das mag hart klingen, ist jedoch logisch zwingend.
Politische Kommunikation ohne Menschen
Politische Gespräche scheitern daher nicht an Psychologie, Moral oder Personen, sondern an Systemlogik, denn politische Kommunikation ist kein Austausch zwischen Menschen, sondern eine Sequenz anschlussfähiger Operationen, die nur das reproduzieren kann, was innerhalb des Systems möglich ist.
Wer politisch spricht, glaubt vielleicht, „Argumente auszutauschen“, tatsächlich erzeugt er nichts als Variationen bestehender Erwartungsstrukturen. Nicht Menschen kommunizieren, sondern das politische System kommuniziert, und es benutzt Menschen als Auslösepunkte, als Rollenstabilisatoren, als Irritationsträger. Alles andere ist Beobachterromantik.
Politische Gespräche scheitern nicht daran, dass Menschen unwillig wären, einander zuzuhören. Sie scheitern vielmehr daran, dass das System unterschiedliche Kommunikationsformate unter denselben Sound zwingt.
Ein Gesprächsteilnehmer produziert politische Kommunikation, der andere rechtliche, der dritte mediale. Sie glauben, dass sie sich widersprechen, doch in Wahrheit sprechen sie über Nicht-kompatibles. Ihre Aussagen stehen nicht im Widerspruch, sondern in verschiedenen Codes. Das ist der Grund, warum politische Gespräche sich oft anfühlen wie ein Tunnel: Jemand antwortet, aber auf etwas, das das Gegenüber gar nicht gesagt hat.
Politische Gespräche sind also strukturell zum Misslingen verurteilt, weil sie eine doppelte Unwahrscheinlichkeit überbrücken müssen: Dass nämlich zum einen eine Äußerung verstanden wird und zum anderen, dass das Verstehen dieselbe Anschlussstelle aktiviert wie intendiert.
Warum Verständigung trotzdem gelegentlich gelingt
Verständigung ist kein Produkt von Einsicht, Argument oder Moral; Verständigung entsteht, wenn die Beteiligten zufällig dieselbe Anschlussstelle suchen. Das geschieht nur, wenn sie den Code minimal synchronisieren, die operative Geschwindigkeit angleichen und wechselseitig akzeptieren, dass Missverstehen der Normalfall ist.
Verständigung ist daher kein Ziel, sondern eine Abweichung vom Normalbetrieb. Sie ist das Unwahrscheinliche, das Systeme durch Struktur wahrscheinlich zu machen versuchen.
Politische Gespräche existieren nicht, um Konsens zu erzeugen. Vielmehr existieren sie, um Entscheidbarkeit zu stabilisieren. Das Gespräch ist die Form, in der das politische System jene Kontingenz bearbeitet, die es selbst erzeugt: Mehr Möglichkeiten, als es auswählen kann.
Gespräche reduzieren also nicht Komplexität, vielmehr reproduzieren sie diese und isolieren jene Elemente, die anschlussfähig genug sind, um in Entscheidungen zu münden. Darum sind die meisten Gespräche endlos, kreisen, wiederholen, variieren, ohne je zu einer „Lösung“ zu kommen; Lösung ist ein psychisches Bedürfnis, Anschlussfähigkeit ist ein systemisches.
Gespräche, gleich ob politischer oder privater oder sonstiger Art, sind kein Ort der Verständigung, sondern die Bühne, auf der Unwahrscheinlichkeit stabilisiert wird. Wer spricht, redet nicht mit Menschen, sondern in ein System hinein, das ihn nur hört, wenn er eine Anschlussstelle trifft. Alles andere versickert als Irritation.