Wenn Rollen zerbrechen – Bärbel Bas und die Logik politischer Kommunikation

Ein kurzer Moment war geeignet, die Architektur politischer Kommunikation bloßzulegen wie selten zuvor: Die Rede der Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) auf dem Arbeitgebertag 2025 in Berlin sowie die darauf folgende Episode beim Juso-Bundeskongress.

Zu beobachten war kein politischer Skandal, sondern ein systemischer: Wie schnell politische Kommunikation entgleitet, sobald Menschen ihre Rollen mit ihren Personen verwechseln.

Die Szene: Ein sachlicher Satz, ein semantischer Kurzschluss

Bas verteidigt auf dem Arbeitgebertag das Rentenpaket und sagt den entscheidenden Satz: „Wir finanzieren diese Haltelinie aus Steuermitteln. Sie belasten damit die Beitragszahler nicht.“

In der systemischen Analyse ist der Satz formal korrekt: Beitragszahler ungleich Steuerzahler. Doch im Alltag kollabiert die Semantik an der Wirklichkeit. Für Ökonomen und Arbeitgebervertreter mag der Satz daher klingen wie eine intellektuelle Spitzfindigkeit, und deshalb entsteht dieses hörbare Lachen im Saal. Kein orchestrierter Spott, sondern ein Sektionsfehler zwischen ökonomischem Code („zahlen / nicht zahlen“) und politischem Code („akzeptabel / nicht akzeptabel“).

Bas reagiert darauf hin hörbar irritiert. Der Rollenrahmen „Ministerin“ kippt, und angesprochen fühlt sich die Person Bärbel Bas, nicht die Funktion Bundesminister. Es wird Wolfgang Schuster, dem ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, nachgesagt, in einer ähnlichen Situation zu Protokoll gegeben zu haben: „Als Oberbürgermeister bin ich gar nicht beleidigungsfähig“.

Der zweite Fehler: Die Personalisierung des Konflikts

Auf dem Juso-Bundeskongress einige Tage später berichtet Bas von dem Vorfall oben, der damit in die zweite Runde geht: Sie sei „ausgelacht worden“, nun wisse sie, gegen wen eigentlich zu kämpfen sei. „Da saßen sie, ich sag das jetzt mal ganz offen, die Herren – ja, meistens waren es Männer – in ihren bequemen Sesseln, der eine oder andere im Maßanzug, und die Ablehnung war deutlich zu spüren“, berichtete Bas. Eingeschnappt.

Damit wird aus einem funktionalen Dissens (Wirtschaft <> Sozialpolitik) ein personaler Konflikt (wir <> die). Das ist der entscheidende Bruch: Eine Ministerin spricht hier nicht mehr im Code des politischen Systems („Entscheidbarkeit stabilisieren“), sondern im Code des moralisch-personalen Systems („Freund/Feind“), sie spricht als rote Bärbel und nicht als Bundesministerin. Das ist unprofessionell und verkennt jede Funktionslogik.

Das politische System kann so nicht funktionieren. Denn Systeme handeln in Rollen, nicht in Personen, Systeme erzeugen Dissens, kein Einvernehmen, Systeme benötigen Distanz, nicht Identifikation, Systeme brauchen Entscheidung, nicht Emotion.

Bas aber rutscht, wie ihr Auditorium zuvor, in den psychischen Code ab: Betroffenheit, Kränkung, Lagerbildung.

Warum das Ganze so symptomatisch ist

Der Vorfall ist keine Charakterfrage, sondern ein Strukturproblem:

– Arbeitgeber verlassen ihre Funktion: Ein wirtschaftlicher Akteur darf politisch widersprechen, Gelächter jedoch ist eine kommunikative Form der Respektverweigerung. Damit kommunizieren sie nicht als Funktionsträger, sondern als Publikum, ein Rollenbruch.

– Bas verlässt ihre Funktion: Die Ministerin reagiert nicht institutionell, sondern persönlich. Sie macht aus einer funktionalen Irritation eine persönliche Kränkung.

– Das System verliert für einen Moment seinen eigenen Code, dabei soll Politische Kommunikation nur eines tun: Die Unwahrscheinlichkeit reduzieren, dass Kommunikation überhaupt gelingt, denn das ist der Grundfall: Dass Kommunikation nicht gelingt. Doch in dieser Sequenz tun sowohl die Arbeitgebervertreter als auch Bas das Gegenteil und produzieren nichts außer Überraschung, Irritation und Affekt.

Funktionale Amateure.

Systemtheoretisch betrachtet: Der doppelte Rollenabsturz

Niklas Luhmann hätte dieses Beispiel geliebt, denn es zeigt exemplarisch: Politik scheitert nicht an Interessen, sondern an Rollenverwechslungen. Eine Ministerin ist kein Mensch, ein Arbeitgeber ist kein Mensch, so einfach ist das. Sie sind Rollen. Sie sind Stellen. Sie sind Anschlussstellen eines Systems.

Wenn Rollenträger beginnen, sich persönlich angesprochen, verletzt, verspottet oder missverstanden zu fühlen, dann tritt an die Stelle politischer Kommunikation etwas, das im politischen System nicht anschlussfähig ist: Psychologie.

Und politische Kommunikation, die psychisch wird, verliert ihren Selbstzweck: Entscheidungen produzieren.

Das politische System ist nicht dafür gebaut, mit Emotionen zu arbeiten. Es arbeitet mit Verfahren, Zuständigkeiten, Hierarchien, Codes. Personale Reaktionen zerstören Anschlussfähigkeit. Lachen, Betroffenheit, Kränkung, alles Gift für Entscheidungskommunikation. Der politische Raum wird instabil, wenn Funktionen personalisiert werden. Politik braucht weniger Ego, mehr Rolle; weniger Kränkung, mehr Funktion; weniger Moral, mehr Struktur.